Risiken der außerklinischen Geburtshilfe
In Deutschland werden jedes Jahr etwa 10.000 Kinder an außerklinischen Geburtsorten zur Welt gebracht und von den hierzulande circa 20.000 Hebammen arbeiten rund 700 im außerklinischen Bereich. Durch die Diskussion über die gestiegenen Haftpflichtbeiträge für freie Hebammen sind diese in letzter Zeit stark in der Presse präsent. Bezug nehmend auf die allgemeine Berichterstattung und in Reaktion auf den Artikel „Das Ende der Hausgeburt“ in der Süddeutschen Zeitung, habe ich kürzlich einen Leserbrief verfasst, der von der SZ Ende Februar veröffentlicht wurde. Den Leserbrief können Sie sich hier anschauen.
Leserbrief zum Artikel in der Süddeutschen Zeitung 15./16.02.2014
„Das Ende der Hausgeburt“
Die moderne Geburtshilfe, der es gelungen ist, die Sterblichkeit von Kindern unter der Geburt auf einen historischen Tiefstand abzusenken, beruht – und zwar unabdingbar – auf der Zusammenarbeit von Hebammen und Ärzten, vor allem aber auf dem Einsatz moderner diagnostischer Methoden (Kardiotokographie, Mikroblutanalyse, Ultraschalldiagnostik, Dopplersonographie) und der heute erreichten weitgehenden Gefahrlosigkeit von Kaiserschnittgeburten. Die Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Hebammen folgt dabei einem sehr einfachen Prinzip. Hebammen sind für die Begleitung normaler Geburten zuständig, die Zuständigkeit der Ärzte beginnt, wenn sich vor oder unter der Geburt Komplikationen entwickeln. In diesen Fällen ist es Pflicht und Aufgabe der Hebammen, rechtzeitig einen Arzt hinzuzuziehen.
Eine solche Zusammenarbeit ist in akzeptabler Weise nur in größeren und leistungsfähigen Geburtskliniken möglich, in denen ständige ärztliche Präsenz gewährleistet ist.
Diese Zusammenarbeit wird neuerdings von einigen (vor allem esoterisch angehauchten) Hebammen in Frage gestellt. Sie wollen, wenn möglich, Frauen unter der Geburt allein beistehen. Nach ihrer Vorstellung soll ein Arzt unter der Geburt möglichst gar nicht anwesend sein. In diesem Zusammenhang diffamieren sie die moderne Geburtshilfe als „kalt“ und „technisch geprägt“. Sie werben damit, bei Hausgeburten oder in von Hebammen geleiteten Geburtshäusern Frauen eine „warme“, von Anteilnahme geprägte Atmosphäre bieten zu können.
Die bei Fehlen eines ärztlichen Hintergrunddienstes zu erwartenden und leider nicht selten eintretenden Katastrophen sind furchtbar, und zwar nicht nur für die betroffenen Kinder, deren Gehirn häufig wegen einer verzögerten, nicht durch Kaiserschnitt beendeten Geburt irreparabel geschädigt ist, sondern auch für die Eltern, meistens für ganze Familien.
Angesichts dieses Elends kann ich dem Gejammer freiberuflicher Hebammen, dass sich ihre Haftpflichtprämien gewaltig erhöht hätten, wenig abgewinnen. Die Erhöhung der Haftpflichtprämien beruht allein auf der großen Zunahme von Fällen, in denen Hebammen wegen Behandlungsfehlern zur Leistung von Schadensersatz verurteilt wurden. Hierzu kommt es so gut wie immer deswegen, weil die betreffende Hebamme es unterlassen hatte, in einer sich anbahnenden kritischen Situation schnellstens einen Arzt zuzuziehen, oder die rechtzeitige Übernahme der Geburtsleitung durch einen Arzt aufgrund von Umständen, die die Hebamme zu verantworten hatte, gar nicht möglich war, wie das insbesondere bei Hausgeburten immer der Fall ist. Regelmäßig trifft in solchen Fällen die Hebamme auch der Vorwurf, dass sie die vor der Geburt stehende Frau nicht ausreichend über die Risiken einer Geburt ohne ärztliche Begleitung aufgeklärt hatte.
Man muss wissen, dass die in Krankenhäusern tätigen angestellten Hebammen, die bei jeder Geburt mit Ärzten kooperieren, keinerlei Problem haben, ausreichenden Versicherungsschutz zu erlangen. Sie brauchen nicht selbst eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, sondern sind – ebenso wie die Krankenhausärzte – auf der Police des Krankenhauses mitversichert. Die Klage, dass kein preisgünstiger Versicherungsschutz zu erlangen sei, geht ausschließlich von freiberuflich tätigen Hebammen aus, denen sich eine schwangere Frau, wenn ihr am Wohl ihres Kindes liegt, bei Anstellung elementarer Überlegungen möglichst nicht anvertrauen sollte. Das drohende Verschwinden des Berufs der freien Hebamme braucht niemand zu bedauern. Keine Frau wird deswegen ohne kompetente geburtshilfliche Behandlung bleiben. Die deutsche Geburtsmedizin hat weltweit einen hervorragenden Ruf. Jede Frau, die vor einer Geburt steht, ist in einer ärztlich geleiteten Geburtsklinik allemal besser aufgehoben als in einem allein von Hebammen betriebenen Geburtshaus, von Hausgeburten ganz zu schweigen.
Erst kürzlich ist eine Hebamme in einem Haftungsprozess, in dem es darum ging, dass sie einer Erstgebärenden bei bekannter Beckenendlage des Kindes eine Hausgeburt angeraten hatte, die dann in eine Katastrophe einmündete, so weit gegangen, sich auf ein Mitverschulden der Mutter zu berufen, weil diese sich ihr anvertraut und sich zur Geburt nicht in ein Krankenhaus begeben habe.
Der Gedanke, man könne die Fortexistenz des Berufs der freien Hebamme dadurch gewährleisten, dass man eine gesetzliche Haftungsbegrenzung einführt und auf diese Weise schwerstgeschädigten Kindern den ihnen zustehenden Schadensersatz zu einem großen Teil vorenthält, ist schlechterdings grotesk und evident verfassungswidrig. Der allgemeine Grundsatz, dass jeder, vor allem auch jeder Freiberufler, für von ihm schuldhaft verursachte Schäden einstehen muss, duldet keine Ausnahme.
Dr. Roland Uphoff, Fachanwalt für Medizinrecht
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