Kriterien für die Angemessenheit eines behindertengerechten Fahrzeuges
Das Landgericht Essen hat sich in einem aktuellen Urteil mit den Kosten für ein behindertengerecht umgebautes Auto befasst, die der Haftpflichtversicherer des Klinikums, das einen Geburtsschaden verursacht hatte, nicht tragen wollte. Die von uns vertretene Klägerin wurde bereits 1985 geboren und hatte in einem 10-jährigen Verfahren erreicht, dass sämtliche Kosten, die ihr durch ihre Behinderung entstehen sollten, vom schädigenden Klinikum zu tragen waren. Dazu gehörte auch ein behindertengerecht umgebautes Fahrzeug. Das erste Fahrzeug wurde von ihren Eltern mit ihr fast 20 Jahre und über 200.000 km genutzt. Nun stand der Ersatz dieses Fahrzeuges an.
Der Haftpflichtversicherer blockte in jeder Hinsicht und hatte eingewandt, dass das zu beschaffende Auto, ein VW Transporter, zu groß sei, dass er (mit 100 PS) zu stark motorisiert sei, dass lediglich eine Minimalausstattung angemessen, alles andere Luxus sei und dass schließlich auch die Möglichkeit bestünde, für jede anfallende Fahrt einen Fahrdienst zu beauftragen. Irgendwelche Darlegungen dazu, warum individuelle Fahrdienste günstiger sein sollten, erfolgten vonseiten des Haftpflichtversicherers nicht.
Das Landgericht Essen verurteilte das Klinikum dazu, auch das nunmehr angeschaffte Fahrzeug zu bezahlen. Im Einzelnen hieß es u. a. in dem Urteil vom 05.02.2015:
‚Der Klägerin ist eine Mobilität zu ermöglichen, die vergleichbar ist mit der Mobilität, die sie ohne Behinderung hätte. Eine solche Mobilität kann nur dadurch erreicht werden, dass der Klägerin bzw. der sie betreuenden Mutter ein behindertengerechtes Fahrzeug zur Verfügung steht, um die Klägerin zu befördern. Die Klägerin kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf einen Fahrdienst verwiesen werden, auch wenn für den Weg zur Behindertenwerkstatt grundsätzlich ohnehin ein Fahrdienst in Anspruch genommen wird. Ein Fahrdienst, der im Vorhinein organisiert werden muss, ermöglicht nicht die Mobilität und Flexibilität wie ein permanent zur Verfügung stehendes Fahrzeug. (…) Die Entscheidung für den gewählten Fahrzeugtyp ist noch vertretbar. (…) Die Festlegung auf einen besonders billigen Fahrzeugtyp ist nicht angebracht, da nicht nur der Anschaffungspreis, sondern z. B. auch Folgekosten zu berücksichtigten sind. Gerade bei der Beförderung einer Schwerbehinderten ist auch die Verlässlichkeit eines Fahrzeuges von besonderer Bedeutung. Ebenso ist die Langlebigkeit eines Fahrzeuges wichtig, dessen behindertengerechter Umbau ebenfalls schon erhebliche Kosten verursacht.‘
Entscheidend ist also das Bedürfnis der geschädigten Person und nicht, was der hinter der Klinik stehende Haftpflichtversicherer unter „Angemessenheit“ versteht. Es lohnt sich also in jedem Fall, die eigenen Vorstellungen weiter zu verfolgen und nicht zu akzeptieren, wenn ein Schädiger bzw. ein dahinter stehender Haftpflichtversicherer versucht, Ansprüche klein zu reden.
LG Essen, Urteil v. 05.02.2015, Az. 1 O 7/14
Axel Näther
Fachanwalt für Medizinrecht
Geburtsschadensrecht und Arzthaftungsrecht
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