Urteilsbesprechung Schmerzensgeld für Plexusschaden

Rekord-Schmerzensgeld für Plexusschaden

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Andrea Dreimann

Mit Urteil vom 24.03.2021 ist das Landgericht Oldenburg über die in der Rechtsprechung bislang üblichen 60.000 – 75.000 Euro Schmerzensgeld für einen Plexusschaden deutlich hinausgegangen. Es hat einem Kind erstmals ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro zugesprochen. Das Urteil ist rechtskräftig.

Fehlerhafte Behandlung bei Schulterdystokie

In dem vom Landgericht zu entscheidenden Fall war bei einem Säugling unter der Geburt eine Schulterdystokie aufgetreten. Bei einer Schulterdystokie tritt nach Geburt des kindlichen Kopfes ein Geburtsstillstand ein. Ursache ist eine ungenügende Drehung der kindlichen Schultern im mütterlichen Becken.

Nach den Feststellungen des Gerichts war das zur Lösung vorgenommene McRoberts-Manöver in fehlerhafter Weise durchgeführt worden. Das McRoberts-Manöver ist ein geburtshilfliches Verfahren zur Behandlung bei Schulterdystokien. Durch mehrmaliges maximales Beugen und Überstrecken der Beine der Mutter kommt es zu einer Kippbewegung des mütterlichen Beckens, mit dem Ziel, die festsitzende Schulter des Kindes zu lösen.

Für die korrekte Durchführung dieses Manövers sind laut Gericht zwei Personen erforderlich. Sofern einer der Geburtshelfer dabei wie angegeben in Höhe der Schulter der Kindesmutter auf dem Bett gekniet hat, ist diese Methode nicht korrekt durchführbar. Insbesondere sei so die notwendige Überstreckung der mütterlichen Beine nicht möglich. Zudem müsse das Manöver mehrmals durchgeführt werden. Das lediglich einmalige kurze Beugen und Strecken der Beine der Kindesmutter durch eine Person wie in diesem Fall wertete das Gericht ausdrücklich als einen groben Fehler bei der Geburtsleitung.

Grober Behandlungsfehler und die Folgen

Aufgrund dieses groben Behandlungsfehlers nahm das Gericht eine Beweislastumkehr zugunsten des Kindes an. Durch die Beratung eines Sachverständigen ging das Gericht davon aus, dass es durch eine fachgerechte Geburtsleitung möglich gewesen wäre, den eingetretenen Geburtsschaden zu verhindern.

Bei dem Kind war es geburtsbedingt zu einer Plexuslähmung links mit Wurzelausrissen der Nerven im Bereich C7, C8 sowie Abrissen bei C6 und C5 gekommen. Für die Höhe des Schmerzensgeldes war maßgeblich, dass der Arm nahezu gebrauchsuntauglich geworden ist. Es liegt trotz bislang dreier Operationen eine dauerhafte funktionelle Einschränkung des Armes vor, den das Kind nur noch als Haltearm und daher sehr eingeschränkt nutzen kann. Hinzu kommt die optische Beeinträchtigung durch die Verkümmerung des Armes. Eine weitere Folge der fehlerhaften Geburtseinleitung ist ein Horner-Syndrom mit einer Verkleinerung des linken Auges.

Die Entscheidung eines Gerichts, für einen gravierenden Plexusschaden erstmals ein Schmerzensgeld im sechsstelligen Bereich auszuurteilen, war längst überfällig. Es bleibt zu hoffen, dass auch andere Gerichte die mit diesen Schädigungen einhergehenden lebenslangen körperlichen Beeinträchtigungen anerkennen und sich im Hinblick auf die Schmerzensgeldhöhe dem Urteil des Landgerichts Oldenburg anschließen.

Hintergrund: Plexusverletzungen treten in unterschiedlichen Formen auf

Die meisten geburtsbedingten Plexusschädigungen haben ihre Ursache in Schädigungen der Nerven, die sich in der Regel in drei bis vier Wochen wieder zurückbilden. In diesen Fällen geht auch die Lähmung zurück und es kann unter krankengymnastischer Behandlung zu einer nahezu vollständigen oder sogar vollständigen Wiederherstellung der Bewegungsfunktionen kommen.

In schweren Fällen hingegen bleiben erhebliche Einschränkungen der körperlichen Integrität dauerhaft bestehen: Es kommt zu permanenten Lähmungserscheinungen, Muskelungleichgewichten und einer Minderentwicklung des Arms, sodass dieser in seiner Funktion als Greifarm nicht mehr genutzt werden kann.

Awareness Plexusparese

Hilfe und Unterstützung erfahren die betroffenen Kinder und ihre Eltern durch den Verein Plexuskinder e. V.

 

Ein Beitrag von:

Andrea Dreimann
Fachanwältin für Medizinrecht,
Geburtsschadensrecht und Arzthaftungsrecht