Wann müssen werdende Mütter über die Alternative eines Kaiserschnitts aufgeklärt werden?
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof hat sich in einer aktuellen Entscheidung zu folgender Frage geäußert: Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine vorgezogene Aufklärung über die Entbindungsalternative eines Kaiserschnitts? Er hat darin klargestellt, dass eine Haftung auch dann gegeben ist, wenn der Kaiserschnitt später durchgeführt wird, als er bei einer rechtzeitigen Aufklärung möglich gewesen wäre – und wenn diese zeitliche Verzögerung zu einem Geburtsschaden geführt hat.
Aufklärungspflicht
Zunächst hat der Bundesgerichtshof seine ständige Rechtsprechung bestätigt, dass eine Aufklärung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit immer dann erfolgen muss, wenn für eine Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und diese unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Bezogen auf eine Entbindung bedeutet dies, dass der behandelnde Arzt ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit eines Kaiserschnitts nicht ansprechen muss.
Das ändert sich jedoch, wenn im Fall einer vaginalen Geburt dem Kind ernstzunehmende Gefahren drohen und der Kaiserschnitt in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt – man nennt dies „relative Indikation“. In diesem Fall muss der Arzt mit der Mutter über die für sie und das Kind bestehenden Risiken sprechen und ihr die Vor- und Nachteile der verschiedenen Entbindungsmethoden erläutern. Erst nach Einwilligung der Mutter in die Art der Entbindung darf diese fortgeführt werden. Nur dann ist ihr Selbstbestimmungsrecht ausreichend gewahrt.
Diese Aufklärungspflicht gilt allerdings bereits dann, wenn aufgrund konkreter Umstände die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass im weiteren Verlauf eine „relative Indikation“ für einen Kaiserschnitt anzunehmen sein wird. In diesem Fall ist eine vorgezogene Aufklärung der Mutter über die verschiedenen Entbindungsmöglichkeiten und die damit verbundenen Risiken für sie und ihr Kind bereits zu dem Zeitpunkt notwendig, zu dem diese Problematik auftritt und noch mit ihr besprochen werden kann. Sie muss sich also in einem Zustand befinden, in dem sie diese Thematik noch reflektieren kann.
Aufklärungsversäumnis im konkreten Fall
In dem zu entscheidenden Fall bestand die Besonderheit, dass nach Geburtseinleitung im CTG um 12.05 Uhr ein erstes Absinken der Herzfrequenz des Kindes, um 12.35 Uhr ein zweites und um 12.48 Uhr ein drittes Absinken zu verzeichnen waren. Daraufhin ordnete die Ärztin um 12.52 Uhr nach einer vaginalen Untersuchung eine eilige Sectio an und klärte die Mutter zu diesem Zeitpunkt erstmals auf. Die Aufklärung erfolgte also erst, als eine Entbindung durch eiligen Kaiserschnitt medizinisch unvermeidlich war. Eine gleichwertige Handlungsalternative, wie das Fortführen der vaginalen Geburt, bestand aufgrund der Gefährdung des Kindes zu dieser Zeit nicht mehr.
Tatsächlich wäre eine Entbindung durch einen Kaiserschnitt aber bereits um 12.35 Uhr geboten gewesen und hätte eine sinnvolle Alternative dargestellt. Der gerichtlich bestellte Sachverständige führte aus, dass der Abfall der kindlichen Herzfrequenz als Warnzeichen zu werten ist und eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Voraussetzungen der obigen Rechtsprechung gegeben sind. Um 12.35 Uhr bestanden deutliche Anzeichen dafür, dass im weiteren Verlauf eine Schnittentbindung eine ernsthafte Möglichkeit sein wird. Also hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt die werdende Mutter über die Alternative des Kaiserschnitts aufgeklärt werden müssen. Dies ist nicht erfolgt.
Was spricht für eine vorgezogene Aufklärung?
Der Grund für die Notwendigkeit einer vorgezogenen Aufklärung ist offensichtlich und nachvollziehbar. Eine sinnvolle Besprechung der Problematik muss erfolgen, sobald von einer Gefährdungslage für das Kind ausgegangen werden muss. Die werdende Mutter soll sich zudem noch in einem Zustand befinden, in dem sie die Situation erfassen und beurteilen kann. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass sie in Panik verfällt und mit ihr eine Besprechung nicht mehr möglich ist. Diese Gefahr hatte sich in dem zu entscheidenden Fall realisiert.
Ein weiterer Vorteil einer vorgezogenen Aufklärung ist, dass zu dem Zeitpunkt, in dem eine „relative Sectioindikation“ besteht, der Wunsch der werdenden Mutter abgefragt werden kann und bei unveränderten Umständen eine Entbindung durch Kaiserschnitt unverzüglich zu realisieren ist. Eine spätere Aufklärung ist damit entbehrlich.
Haftung aufgrund unterlassener Aufklärung
Konsequenz für den entschiedenen Fall war, dass bei einer vorgezogenen Aufklärung entweder bereits um 12.05 Uhr, jedenfalls spätestens um 12.35 Uhr festgestanden hätte, dass die Geburt durch Kaiserschnitt beendet werden musste. Dies hätte eine erhebliche Zeitersparnis und in der Folge eine deutlich frühere Geburt bedeutet. Führt diese zeitliche Verzögerung zu einem Gesundheitsschaden des Kindes – wozu in dem zu entscheidenden Fall Feststellungen fehlten – ist eine Haftung bereits aufgrund der unterbliebenen vorzeitigen Aufklärung über die Behandlungsalternative einer Sectio gegeben.
Diesen Aspekt hatte das Berufungsgericht im konkreten Fall verkannt und die schadensmindernde Zeitersparnis nicht berücksichtigt. Das Berufungsgericht ging fälschlich davon aus, dass der Kaiserschnitt auch bei der vorgezogenen Aufklärung erst mit der medizinischen (absoluten) Indikation vorzunehmen sei. Dies steht jedoch in deutlichem Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung über die Notwendigkeit einer Aufklärung über alternative Behandlungsmöglichkeiten. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und zur erneuten Prüfung zurückzuweisen.
Ein Beitrag von:
Petra Marschewski
Fachanwältin für Medizinrecht
Geburtsschadensrecht und Arzhaftungsrecht