Grober Behandlungsfehler bei neonataler Hypoglykämie: OLG Hamm entscheidet

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Säuglinge auf einer Geburtsstation

In einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 04.12.2018 wurde über die Notwendigkeit für eine Blutzuckerbestimmung in lebensbedrohlichen Fällen bei Neugeborenen entschieden. Anlass dafür war der Fall einer neonatalen Hypoglykämie bei einem Kind, die zu größeren Komplikationen geführt hatte.

Was ist eine neonatale Hypoglykämie?

Bei Neugeborenen kann es zwischen dem ersten und dritten Lebenstag zu einem intensiven Abfall des Blutzuckers kommen. In einem solchen Fall spricht man von einer neonatalen Hypoglykämie. Solche Fälle treten u.a. bei Müttern auf, die unter einem Gestationsdiabetes oder Diabetes mellitus leiden. Ebenso können weitere Risikofaktoren wie Frühgeburt, ein Mangel an Ketonkörpern und Fettsäuren, angeborene Stoffwechseldefekte oder perinataler Stress zu einer Hypoglykämie im Kind führen.
Diese hat jedoch bei richtiger Behandlung normalerweise keine weiteren Auswirkungen auf die Frühentwicklung des Kindes. Unbehandelt können jedoch schwere Hirnschäden auftreten.

Verspätete Behandlung führt zu Komplikationen

Im vorliegenden Fall zeigte ein Neugeborenes nach der Geburt in der 21. Schwangerschaftswoche innerhalb der ersten Stunden Komplikationen in Form von „schlappen Händen“ und „blauen Füßen“ auf. Nach einer erfolgreichen Reanimation durch die behandelnden Ärzte wurde das Kind in eine Kinderklinik verlegt. Dort entwickelten sich innerhalb kurzer Zeit Krampfanfälle – ein weiteres unspezifisches Symptom für Hypoglykämie. Erst dort erfolgte schließlich eine Blutzuckerbestimmung mit folgender Glukose-Behandlung mit dem Ergebnis, dass eine neonatale Hypoglykämie festgestellt wurde. Das Kind blieb dadurch eine weitere Zeit instabil und intensivpflichtig.

OLG Hamm fällt deutliches Urteil

Nach Einbeziehung von mehreren Sachverständigengutachten kam das Oberlandesgereicht Hamm zu dem Schluss, dass die Erfassung des Blutzuckers schon zu einem früheren Zeitpunkt absolut notwendig und zwingend gewesen wäre. Präzise stellt das OLG klar:
„Eine solche Bestimmung wäre zumindest im Nachgang der unmittelbaren akuten Situation aus medizinischer Sicht differentialdiagnostisch dringend erforderlich gewesen.“
Dementsprechend hätten die zuständigen Fachkräfte bereits beim Auftreten der ersten kritischen Symptome, die eine Reanimation erforderlich machten, eine Blutzuckerwertbestimmung als absolute Standardmaßnahme vornehmen müssen. Somit handelte es sich hierbei um einen groben Behandlungsfehler, der eine frühzeitige Glukose-Behandlung verhindert habe.

Konsequenz für zukünftige Diagnosen

Durch das Gerichtsurteil wird deutlich, dass eine unterlassene Blutzuckerbestimmung ein grober Behandlungsfehler im Falle eines Verdachts auf neonatale Hypoglykämie ist. Allein zum Ausschluss der Diagnose ist dieser Schritt für das Fachpersonal unumgehbar und sollte deswegen bei Neugeborenen in kritischem Zustand immer berücksichtigt werden.
Im Urteil des OLG Hamm wird zudem als Konsequenz für aus dem Behandlungsfehler entstehende Beeinträchtigungen des Kindes formuliert:
„Bei einer schweren geistigen und körperlichen Beeinträchtigung eines Kindes, die niemals ermöglicht, ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, kann ein Schmerzensgeld von 500.000,- € angemessen sein.“

Den vollständigen Artikel aus der Zeitschrift kinderkrankenschwester können Sie hier nachlesen.

Ein Beitrag von:

Dr. Roland Uphoff, M.mel.
Fachanwalt für Medizinrecht,
Geburtsschadensrecht und Arzthaftungsrecht