Wie gut ist die außerklinische Geburtshilfe?

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Folgende Anregungen und Fragen sowie Literatur und Studien sollen dazu beitragen, die sehr emotional geführte Diskussion des letzten Blog-Beitrags wieder auf eine faktische Grundlage zu stellen.

 

Meine eigentliche Kritik

Die Qualität der geburtsmedizinischen Versorgung in Deutschland ist grundsätzlich sehr gut und keineswegs gefährdet. Das Netz an Krankenhäusern mit leistungsfähigen Geburtshilfeabteilungen (bestehend aus einem Team von Hebammen und Ärzten) in Deutschland ist so eng, dass auch die bisher ca. 2% außerklinischen Geburten und eine regional unterschiedliche, insgesamt aber kleine Zahl von geburtshilflichen Belegabteilungen nicht maßgebend für die hohe Qualität der deutschen Perinatalmedizin sind.

Schleußner/Stepan, Deutsches Ärzteblatt 2014, 111, weisen zu Recht darauf hin:

„Die Intensität der Debatte steht in keinem Verhältnis zur Dimension des Problems, wenn es dies überhaupt gibt.“

Festzuhalten und zu kritisieren ist und bleibt, dass die freiberuflich tätigen Entbindungshebammen einen finanziellen Ausgleich für ihre gestiegenen Haftpflichtprämien von den Krankenkassen erhalten, nachdem lange und intensiv über Ausgleichszahlungen verhandelt worden ist. Die Krankenkassen und Hebammenverbände haben sich dahingehend geeinigt, dass ab dem 01.07.2015 ein „Sicherheitszuschlag“ gezahlt wird. Dieser Vorschlag geht auf den Gesundheitsminister Hermann Gröhe zurück. Siehe hierzu und lese: Verbandssprecher der Krankenkasse Florian Lanz in Tagesschau 30.04.2014:

„Es kann nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen sein, das Geschäft der privaten Versicherungswirtschaft zu machen. Wenn Hebammen einen Fehler machen, müssen sie dafür gerade stehen, dafür haben sie eine Berufshaftpflicht. Es kann nicht sein, dass bei Hebammen eine große Ausnahme gemacht wird und die Beitragszahler, also Sie und ich, das hinterher zahlen müssen.“

 

Wer ist von meiner Kritik betroffen?

Meine Kritik bezieht sich nicht auf die gesamte Hebammenschaft, sondern auf eine kleine Gruppe der außerklinisch arbeitenden Hebammen. Ich schätze die Arbeit der Hebammen und weiß, dass diese in der Geburtshilfe, der Vor- und Nachsorge eine wichtige Rolle innehaben. Aus diesem Grund arbeite ich seit einigen Jahren im Bereich der Hebammenweiterbildung und suche an dieser Stelle auch immer wieder den Dialog.

Zur Hebammensituation in Deutschland einige Zahlen und Fakten:

Aus den Daten der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e. V. (QUAG; www.quag.de) ergibt sich, dass bei ca. 19.500 tätigen Hebammen, bundesweit ca. 3.500 freiberuflich tätige Hebammen in Deutschland arbeiten. Von diesen 3.500 freiberuflich tätigen Hebammen sind ca. 550 in der außerklinischen (Hausgeburts-/Geburtshaus-)Geburtshilfe tätig. Bei ca. 2% Anteil außerklinischer Geburtshilfe und ca. 650.000 Entbindung im Jahr 2013 wären damit ca. 13.000 Geburten außerklinisch zu registrieren.

Bei ca. 550 freiberuflich außerklinisch tätigen Hebammen ergeben sich ca. 23 Geburten pro Jahr/pro Hebamme, d. h. eine außerklinisch tätige (Hausgeburts-/Geburtshaus-)Hebamme betreut gerade einmal 2 Geburten pro Monat.

Von den vorgenannten ca. 13.000 außerklinischen Geburten werden nur ca. 80%, d. h. 10.000-10.500 Geburten von QUAG, registriert bzw. von den außerklinisch tätigen Entbindungshebammen gemeldet.

Es fehlen also ca. 2.000-3.000 Geburten, die außerklinisch betreut werden; diese Geburten und Entbindungen sind bei QUAG nicht erfasst. Die Qualitätssicherung ist diesbezüglich bei QUAG unbedingt zu verbessern.

 

Was sagen Statistik und Studien zur außerklinischen Geburtshilfe?

Die europäischen PERISTAT-Daten zeigen, dass die perinatale Mortalität in den Niederlanden, die eine hohe Hausgeburtenrate aufweisen, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erhöht ist. Kritikpunkte sind hierbei insbesondere die zu späte Überweisung in eine Klinik.

Die Transportrate während der Geburt betrug in den Niederlanden 2012 bei Erstgebärenden trotz Risikoselektion immer noch 62% und bei Mehrgebärenden 26%.

In einer prospektiven Studie wurde 2010 beschrieben, dass Kinder von Schwangeren mit niedrigem (!) Risiko und geplanter Hausgeburt eine erhöhte perinatale Mortalität und Morbidität im Vergleich zu Kindern von Müttern mit Klinikgeburt aufwiesen. Es ist gezeigt, dass Frauen, die von zu Hause sekundär in eine Klinik überwiesen wurden, eine höhere Rate operativ-vaginaler Entbindungen sowie sekundärer Kaiserschnitte aufwiesen als Frauen, die sich primär für eine Klinikentbindung entschieden hatten (Arabin, Chervenak, McCullough, Zeitschrift Geburtshilfe und Neonatologie 2013, S. 217). Die umfangreiche Studie der hessischen Perinatalerhebung hat ergeben, dass es in ca. 20% (!) der primär als Nichtrisikogeburten erfassten Geburten zum Auftreten von relevanten Störungen während der Geburt kommt (Heller, Schnell, Richardsen et al., Hat die Größe der Geburtsklinik Einfluss auf das neonatale Überleben? DMW 2003; 128; B. Misselwitz/S. Schmidt, Mütterliche und perinatale Mortalität, Geburtshilfe und Perinatalmedizin 2010, S. 721 ff.). Solche Geburten können außerklinisch nur unzureichend betreut werden.

Die Qualitätssicherung über QUAG ist nicht ausreichend, da zum einen die oben genannten 2.000-3.000 Geburten gänzlich aus der Qualitätserfassung herausfallen und die Qualitätskriterien (Apgar-Werte, Episiotomierate) keine validen Kriterien darstellen (Grünebaum, McCullough, Journal of perinatal medicine 2014: Apgar-Werte sind gebiast; die Episiotomierate ist für die Frage, ob sich eine Beckenbodenschwäche entwickelt, irrelevant).

Die Daten und Statistiken von QUAG sowie der aktuell laufende Prozess gegen eine außerklinisch tätige Hebamme vor dem Landgericht Dortmund zeigen, dass gerade keine ausreichende Risikoselektion in der außerklinischen Geburtshilfe stattgefunden hat und stattfindet.

Arabin, mit Hinweis Papiernik, Zeitschrift Geburtshilfe und Neonatologie 2013, S. 217:

„Bei der theoretischen Vorstellung einer Hausgeburt handelt es sich also eher um einen Traum, da die wirklichen Risiken in der Realität sehr viel höher sind als während einer Umfrage eingeschätzt… Es besteht also eine Differenz zwischen theoretischer Meinung und realer Erfahrung von Sicherheit und Schmerzbehandlung während der Geburt aller Betroffenen.“

 

Was ist von der „Geburt als Event“ zu halten?

Hierzu einige Pressestimmen aus diesem Jahr:

 

Kathrin Spoerr, Die Welt, 06.04.2014 formuliert:

„Liebe Hebammen, es ist Zeit für eine ganz andere Geburt. Die Geburt der modernen Hebamme!“

 

Manfred Dworschak, Der Spiegel 9/2014, S. 114 resümiert:

„Sie (gemeint sind die freien Hebammen) begleiten weiterhin ihre Klientinnen vor und nach der Geburt, die Niederkunft selbst aber findet unter der Regie der Klinikhebammen statt. Ist das so schlimm? In den Krankenhäusern hat man sich längst den Bedürfnissen werdender Mütter (und Väter) angepasst…

Sollten sie (gemeint sind freien Entbindungshebammen) ihre Geburtshoheit an die Krankenhäuser abtreten, geht die Welt nicht unter…“

 

Lucia Schmidt, FAZ, 30.06.2014:

„Unser Gesundheitssystem kann nicht jeden Wunsch erfüllen und alle Möglichkeiten gewähren; es muss vielmehr eine sicherere, qualitativ hochwertige medizinische Versorgung für alle bereitstellen. Diese Versorgung erhalten Frauen hierzulande während der Geburt im Krankenhaus… Ein Systemwechsel könnte die Erhöhung der Haftpflichtprämien bremsen, die sich in Klinikbetrieben aus hohen und aus niedrigen Risikobereichen zusammensetzen. Das macht das Gesamtrisiko kalkulierbarer… Wer dann trotz nachgebesserter Klinikversorgung außerklinisch entbinden will, muss selbst dafür aufkommen und das Risiko tragen; die Solidargemeinschaft der Versicherten muss es nicht. Das tut sie in anderen Versorgungsbereichen auch nicht: Alte Menschen, die zu Hause in einer 1:1 Betreuung gepflegt werden wollen, müssen dafür auch selbst in die Tasche greifen. Unsere Gesundheitsversorgung kann nicht alle Wünsche erfüllen; das muss sie auch nicht…“

 

Es ist ein Anachronismus, wenn Geburtshilfe in Deutschland zurzeit an über 900 Plätzen vorgehalten wird. In England wird für etwa 50 Mio. Einwohner an ca. 60 Orten Geburtshilfe betrieben, wobei einige Geburtskliniken mehr als 5.000 Geburten pro Jahr aufweisen.

Nicht nur nach den Mutterschaftsrichtlinien sondern auch nach den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bedarf es personeller und apparativer Möglichkeiten zur Betreuung von Risikogeburten und/oder Risikokindern, wobei (wie oben belegt) es in ca. 20% der primär als Nichtrisikogeburten erfassten Geburten zum Auftreten von relevanten Störungen während der Geburt kommt, eine Verlegungsrate von 60% bei Hausgeburten und Erstparität besteht sowie eine erhöhte Mortalität/Morbidität in der PERISTAT-Studie bewiesen ist.

 

Was ist entscheidend?

Es ist eine Tatsache, dass ein historisches Überbleibsel aus einer Zeit, in der es keine Alternative zur Hausgeburt gab, die zukünftige Gesundheit unserer Kinder, die nicht gefragt werden und auch nicht wählen können (und sich naturgemäß nicht im Blog erklären können!), nachhaltig beeinträchtigen kann. Dies zu ignorieren, ist ein wissenschaftlicher, klinischer, ethischer und gesundheitspolitischer Irrtum.

Positive Rechte der Mütter haben im Interesse der ungeborenen Kinder auch Grenzen. Lancet 2010; 376 home birth proceed with caution:

„Frauen haben das Recht zu wählen, wo sie entbinden, aber sie haben nicht das Recht, ihr Kind in Gefahr zu bringen.“

Für Hebammen sollte das Gleiche gelten wie für mich bei meiner anwaltlichen Arbeit: „Die Eltern kommen zu uns mit ihrem Wichtigsten – mit Ihren Kindern.“

 

3 Kommentare
  1. Katja Schmidt
    Katja Schmidt sagte:

    Guten Tag, ich befinde mich zur Zeit in der Ausbildung zur Hebamme, bin also eine werdende Hebamme. Ich empfinde es sehr traurig, wie Sie die häusliche Geburtshilfe inkl. der Geburtshausgeburten durchführenden Hebammen erniedrigen, soweit ich Ihren Blog hier verfolge sind alle geschilderten Fälle wohl in einem Krankenhaus geschehen, sicherlich aufgrund der Ungeduld des anwesenden Geburtshelfers. Sehr toll finde ich Ihre Arbeit in Bezug auf eine finanzielle Absicherung für Kinder und Eltern, bei denen leider alles schief gegangen ist, was schief gehen kann. Mir ist noch keine außergeburtlich tätige Hebamme begegnet, welche grob fahrlässig oder absehbar eintretende Notfälle nicht erkannt hat und sofort eine Verlegung ins KH angewiesen hat, denn Pathologien zu Behandeln ist nicht Aufgabe der Hebamme, wobei die sicher mehr Geduld hat, als ein gestresster Gynäkologe… Schade, dass Sie ihre Bedenken nur auf Zahlen beziehen, mittlerweile weiss auch der letzte Mensch, dass Statistiken „schön “ geschrieben werden können, je nachdem welchen Blickwinkel und Lebensauffassung besteht. Auch verstehe ich nicht, weshalb Sie durch die Schließung von Häusern mit weniger als 800 Geburten Deutschland zu Zuständen wie in Afrika machen wollen. Ich denke in jedem Hause gibt es engagierte Geburtshelfer und Hebammen. Wenn ich die Hebamme Ihrer Frau wäre, dann hätte ich ja schon von vornherein die Angst, von Ihnen verklagt zu werden, auch wenn alles gut geganen ist. Es tut mir sehr leid, dass Sie noch nie eine Hausgeburt erlebt haben, die in einer heimeligen Atmosphäre und ohne irgendwelche Interventionen allein durch die wunderbare Kraft der Frau stattgefunden hat.

    Antworten
  2. Michis Welt
    Michis Welt sagte:

    Für die unbedarften Leser * innen hier :

    Herrn Uphoff sind Hausgeburten eigentlich egal. Davon gibt’s nämlich gar nicht so viele. Viel lieber möchte er große Perinatalzentren mit 5.000 Geburten und langen Anfahrtswegen. Wer will sich schon seiner eigenen Geschäftsgrundlage berauben?
    Ansonsten müsste man davon ausgehen, dass Herr Uphoff bis heute nicht verstanden hat, dass die Haftpflichtproblematik nicht nur freiberufliche Hebammen, sondern auch Ärzte und Kliniken betrifft. Aber glauben Sie das?

    Zum Blogeintrag gibt es zu sagen:

    Lieber Herr Uphoff,

    Sie vergleichen Äpfel mit Birnen : Das niederländische Vorsorgesystem ist ein anderes. Außerdem werden in die Statistik der Mortalität bereits Kinder ab der 22. Woche einbezogen ( in D erst ab der 28.Woche ) drüber hinaus auch Spätabbrüche. Passiert hier alles auch. Zählt aber nicht. Gleiches gilt für das britische Gesundheitssystem. In den Häusern von denen Sie sprechen, wollen deutsche Ärzte nicht dauerhaft arbeiten ( ich kenne einige, die das wegen mangelnden Personals dort als lukrativen Zweitjob am Wochenende machen. ) Die Patienten kommen dafür lieber hierher. Da gewinnt ‚ Der englische Patient ‚ an manchen Häusern eine ganz andere Bedeutung. Ich empfehle die Lektüre dieses Artikels im Ärzteblatt. Und damit man gleich erkennt, was Herr Uphoff in seinem Blogbeitrag ausgelassen hat, beginne man gleich damit von unten an zu lesen:
    http://mobile.aerzteblatt.de/news/48185.htm

    Ihre hilflosen Versuche, die Presse zu zitieren, um Ihren Aussagen Glaubwürdigkeit zu verschaffen, lasse ich mal unkommentiert stehen.

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