Urteilsbesprechung OLG München: komplette Armplexusparese
Das OLG München hat in einem kürzlich durch uns erstrittenen Urteil ein Schmerzensgeld in Höhe von 65.000,00 € bei einer kompletten Armplexusparese nach Schulterdystokie bestätigt.
In dem Verfahren mit dem Urteil vom 05.04.2018, AZ.: 24 U 3486/16 war die Frage zu klären, unter welchen Voraussetzungen bei einer unmittelbar nachgeburtlich festgestellten Armplexusparese nach einer Schulterdystokie auf ein fehlerhaftes Verhalten der Geburtshelfer geschlossen werden kann. Verklagt waren der Krankenhausträger, die dort angestellte Assistenzärztin und eine freiberufliche Hebamme. Nach der Dokumentation stand lediglich fest, dass es zu einer Schulterdystokie gekommen war. Anschließend wurde der Wehentropf ausgestellt, mehrfach das McRoberts-Manöver angewandt und durch suprasymphysären Druck unterstützt. Im Geburtsbericht hieß es dann, dass eine vorsichtige äußere Überdrehung ohne Zug am kindlichen Kopf durch die freiberufliche Hebamme erfolgte.
Wie in diesen Fällen leider üblich, trugen die Beklagten vor, dass die Armplexusparese bereits intrauterin entstanden oder durch die Geburtsabläufe selbst verursacht worden sei. Ein übermäßiger Zug wurde bestritten und ließ sich letztlich auch nicht exakt einer Maßnahme der angestellten Ärztin oder der freiberuflichen Hebamme zuordnen. Gleichwohl hat das Oberlandesgericht München in Anknüpfung an ein geburtshilfliches und ein neuropädiatrisches Gutachten bestätigt, dass eine Schädigung der betroffenen Nerven nur durch Zugkräfte erfolgt sein könne, die durch eine seitliche Wegbewegung des Kopfes von der Schulter entsteht, wobei aufgrund der Schwere des Armplexusschadens (Zerreißung und Ausriss) eine hohe Zugkraft mit 35 – 40 kg erforderlich war.
Eine vorgeburtliche Schadenentstehung konnte bereits deshalb ausgeschlossen werden, da der betroffene Arm unmittelbar nach der Geburt nicht verkümmert oder verschmächtigt war. Zudem ist kein einziger Fall einer Nervenzerreißung durch intrauterine Kräfte bekannt. Der geburtshilfliche Sachverständige schloss aus, dass bei einem Geburtsvorgang selbst ohne weitere Maßnahmen Zugkräfte in der für eine Nervenzerreißung erforderlichen Stärke auftreten. Auch die notwendige Seitbewegung des Kopfes während des Geburtsvorgangs gebe es bei einer normalen Entwicklung des Kopfes bei einer Geburt nicht. Hier lag zudem eine Nabelschnurumschlingung vor, was eine Seitwärtsbewegung des Kopfes noch weniger möglich machte.
Der Senat war daher davon überzeugt, dass es im Rahmen der Geburt zu einer nicht dokumentierten und daher auch keiner bestimmten Handlung zuordbaren Ausübung von seitlichen Zugkräften auf den Kopf des Kindes durch die angestellte Assistenzärztin oder die freiberufliche Hebamme gekommen sein muss. Anders kann die intraoperativ festgestellte Nervenzerreißung des Klägers nicht erklärt werden.
Für die Ausübung dieser standardunterschreitenden Zugkraft ist der Krankenhausträger eintrittspflichtig, und zwar unabhängig davon, von wem der Zug tatsächlich ausgeübt wurde. Bereits aufgrund des mit der Mutter geschlossenen totalen Krankenhausvertrages war der Krankenhausträger zur standardgemäßen Erbringung geburtshilflicher Leistungen verpflichtet. Hierfür bediente er sich der angestellten Assistenzärztin, die als seine Erfüllungsgehilfin haftet. Dies gilt aber selbst dann, wenn der standardunterschreitende Zug am Kopf des Kindes durch die freiberufliche Hebamme ausgeübt wurde. Denn diese war mit Willen des Krankenhausträgers in dessen Pflichtenkreis tätig, so dass er auch für deren Verschulden gem. § 278 Satz 1 BGB haftet. Dies ergibt sich gleichermaßen daraus, wenn man davon ausgeht, dass die die Geburt leitende Assistenzärztin als Erfüllungsgehilfin des Krankenhausträgers mit dessen Einverständnis die freiberufliche Hebamme als Hilfsperson hinzugezogen hat.
Auch eine eigenständige Haftung der Assistenzärztin wurde unter dem Gesichtspunkt angenommen. Sie hatte mit Anwesenheit im Kreißsaal die Geburtsleitung inne und haftet damit für den Fall, dass der Zug von ihr selbst ausgeübt wurde, deliktisch eigenverantwortlich. Sollte der standardunterschreitende Zug durch die Hebamme ausgeübt worden sein, wird ihr dies ebenfalls deliktisch zugerechnet.
Dieser Fall fügt sich daher in eine Reihe obergerichtlicher Entscheidungen, bei denen die Gerichte nach sachverständiger Beratung allein aufgrund des Schadensbildes bei einem Plexusschaden nach einer Schulterdystokie mit Nervenzerreißung und/oder Wurzelausriss auf einen fehlerhaften und kontraindizierten Zug bei der Geburtsentwicklung geschlossen haben. Auch in diesen Fällen ist eine Haftung gegeben, auch wenn fehlerhafte geburtshilfliche Maßnahmen in den Krankenunterlagen nicht beschrieben werden. Ein Ergebnis, das zumindest ein Signal in die richtige Richtung darstellt.
Eine detaillierte Besprechung des Urteils können Sie in der Zeitschrift „GesundheitsRecht“ nachlesen und hier herunterladen.
Ein Beitrag von:
Petra Marschewski
Fachanwältin für Medizinrecht, Geburtsschadensrecht und Arzhaftungsrecht